Mittwoch, 21. Januar 2015

Tagelied von Heinrich von Morungen


Eine Interpretation


In diesem Post werde ich euch ein altes Minnelied vorstellen und es interpretieren. Als Beispiel habe ich mich nach nur kurzen Recherchen für das Tagelied von Heinrich von Morungen entschieden. Es gefällt mir sehr gut, weil mir die niedere Minne mehr zuspricht, als die nicht erwiderte hohe Minne. Ich finde die niedere Minne enthält viel mehr Gefühle und auch das damit verbundene Leid, dadurch wirkt sie viel authentischer. Das Tagelied ist ein gutes Beispiel, weil der Inhalt und die Wortwahl nicht allzu schwer sind. Auch die Länge finde ich sehr angepasst, das perfekte Gedicht für einen Einblick in die legendäre Liebesdichtung des Mittelalters.



Tagelied
Mittelhochdeutsche Originalversion

Heinrich von Morungen
Tagelied
[Text ca. 1190-1222]

Owê, –
Sol aber mir iemer mê
geliuhten dur die naht
noch wîzer danne ein snê
ir lîp vil wol geslaht?
Der trouc diu ougen mîn.
ich wânde, ez solde sîn
des liehten mânen schîn.
Dô tagte ez.

»Owê, –
Sol aber er iemer mê
den morgen hie betagen?
als uns diu naht engê,
daz wir niht durfen klagen:
›Owê, nu ist ez tac,‹
als er mit klage pflac,
dô er júngest bî mir lac.
Dô tagte ez.«
Owê, –

Si kuste âne zal
in dem slâfe mich.
dô vielen hin ze tal
ir trehene nider sich.
Iedoch getrôste ich sie,
daz sî ir weinen lie
und mich al umbvie.
Dô tagte ez.

»Owê, –
Daz er sô dicke sich
bî mir ersehen hât!
als er endahte mich,
sô wolt er sunder wât
Mîn arme schouwen blôz.
ez was ein wunder grôz,
daz in des nie verdrôz.
Dô tagte ez.«

Tagelied
Übersetzte hochdeutsche Version

Heinrich von Morungen
Tagelied
[Text ca. 1190-1222]

(I) O weh,
soll mir denn länger nicht
erstrahlen durch die Nacht,
noch weisser als der Schnee,
 ihr Leib in seiner Pracht?
Er täuscht’ die Augen mein
ich meint’, es müsste sein
Des hellen Mondes Schein
Da tagte es.

(II) »O weh,
kann er denn nicht einmal
den Morgen hier erleben?
Kann keine Nacht vergehn
dass wir nicht Klag’ erheben:
›O weh, jetzt ist es Tag‹
wie er voll Jammer tat
als jüngst er bei mir lag.
Da tagte es.«

(III) O weh,
sie küsste ohne End
in dem Schlafe mich,
wobei die Tränen ihr
als Fluss zu Tale rannen.
Da tröstete ich sie,
dass sie ihr Weinen liess
und mich fest umfing.
Da tagte es.

(IV) »O weh,
Dass doch so oft sein Blick
auf mir nur ist verharrt!
Wenn er die Decke hob
und er dann ohne Kleid
die Glieder wollte sehn.
Und seltsam, dass er nie
den Anblick müde ward.
Da tagte es.«

Als erstes: Was ist ein Tagelied?
Das Tagelied ist eine Sonderform der höfischen Dichtung. Es beschreibt das Beisammensein von zwei Liebenden während der Nacht und ihr Trennungsschmerz am Morgen danach.

Nun zum Gedicht: Es gehört wie bereits erwähnt zu der Gattung der niederen Minne. Dies ist klar durch das Thema des Inhalts ersichtlich. Es wird von einem Liebesverhältnis zwischen zwei sich Liebenden erzählt. Sie treffen sich regelmässig und verbringen die Nacht zusammen. Ihre Verbindung zueinander ist sehr stark und auch tiefgründig, es ist keine gelegentliche Liebe. Dies zeigt sich zum einen durch die immer wiederkehrende Wendung des "Oh weh"s am Anfang der Strophe und dem Satz "Da tagte es" zum Ende der Strophe. Aber auch die in Strophe drei beschriebenen Tränen zeugen von tiefgründiger Liebe und dem damit verbunden Leid ihrer misslichen Situation. Dies sind alles eindeutige Merkmale eines niederen Minnegedichts. In der hohen Minne wäre nicht eheliche Liebe verpönt, ja sogar verboten. Daher kommt es auch, dass die zwei Liebendem im Gedicht, ihre Liebe geheimhalten müssen. Man weiss jedoch nicht genau, warum ihre Liebe eine nicht eheliche ist, den wenn sie sich ja so sehr lieben. könnten sie sich ja auch heiraten. Es gibt verschiedene Gründe was sie daran hindert: Vielleicht sind sie beide schon verheiratet, jedoch nicht sehr glücklich. Scheidung war zu dieser Zeit ebenfalls verpönt. Es gibt aber auch die Möglichkeit des Verwandtschaftsverhältnisses der Beiden, oder das Hinderniss des sozialen Umfelds und ihrer gesellschaftlichen Stellung, welches eine Beziehung verbietet. Alle diese drei Liebesverhältnisse waren zu der Zeit des Mittelalters schlicht und einfach nicht möglich. Würde dies bekannt werden, wären sie in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert. Ihre unehelichen Kinder würden ausgeschlossen werden, auch die Frau hätte es sehr schwer. Eine anständige Anstellung oder einen Ehemann zu finden wäre fast unmöglich. Genau aus diesen Gründen können sie sich nur Nachts treffen, und sobald es tagt, müssen sich ihre Wege wieder trennen. Diese unglücklichen Umstände stärken die verbotene und geheime Liebe jedoch noch mehr. Ihre wenigen gemeinsamen Stunden schweissen sie noch mehr zusammen als alle anderen Eheleute.


Ebenfalls aussergewöhnlich an diesem Gedicht ist die Art der Erzählung. In der hohen Minne wäre es üblich, dass nur der Mann spricht. Er steht unter der Dame und behimmelt sie. Heinrich von Morungen jedoch, lässt beide Liebenden sprechen. Sie erzählen abwechslungsweise von ihrer Liebe und ihrem Leid. Auch hier schwärmt die männliche Figur von der Schönheit der Dame. Er bezieht sich allerdings oft auf ihren Körper, nicht unbedingt auf Tugenden und belanglose Äusserlichkeiten wie zum Beispiel ihr Haar, wie es in einem hohen Minnegedicht üblich wäre. Die Dame schätzt besonders die gemeinsame Zeit und spricht vom Jammer, wie er jeden Morgen wieder gehen muss.
Zentral bei dieser Art der Erzählung ist, dass man erkennen kann, dass die beiden Liebenden sich auf Augenhöhe befinden. Die Liebe des Mannes zu Frau wird erwidert, sie steht auf der gleichen Höhe wie er und auch von ihrer Seite her ist eine gewisse Bewunderung vorhanden.

Ich hoffe das Gedicht hat auch euch so gut gefallen wie mir und hoffentlich bis bald
Freundliche Grüsse
Rahel :)



Quellen: http://wikis.zum.de/zum/Liebeslyrik
http://www.deutsche-liebeslyrik.de/minnesang/minnesang_heinrich_von_morungen7.htm











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